Die Zeit ist reif. Für einen neuen Aufbruch
Es gab eine Zeit, da waren wir unschlüssig, was zu tun sei - wie heute. Wir waren unschlüssig, wie das Notwendige getan werden könnte und müsste. Einige Mutige kamen zusammen, agierten ohne den Schutz westlicher Schutzmächte, wie die SDP (geschützt durch und kontrolliert von der SPD) oder das Bündnis 90 (geschützt und kontrolliert von der Partei Die Grünen). Sie wollten Veränderung, in ihrem Land und auf einer neuen gesellschaftlichen Grundlage.
Die Mutigen unterlagen. Die "Wendehälse" und Opportunisten jeglicher Couleur triumphierten. Unter dem Schirm der bundesrepublikanischen Schutzmacht bekämpften sie alles, was ihnen im Weg stand, sowie alle, die nicht bereit waren, ihrem Beispiel zu folgen. Sie nannten das Demokratie. Und bereiteten mit ihrem Handeln all jenen den Boden, die wirkliche Demokratie ablehnen und das Vorbild für die Gesellschaft in einer wie immer gearteten Form der Diktatur sehen.
"Aufbruch 89" nannte sich das Manifest und der Aufruf für die Veränderung der Gesellschaft der DDR im Herbst 1989.
Aufbruch 89 - Neues Forum
In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische oder zur massenhaften Auswanderung. Fluchtbewegungen dieses Ausmaßes sind anderswo durch Hunger, Not und Gewalt verursacht.
Davon kann bei uns keine Rede sein. Die gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft lähmt die schöpferischen Potenzen unserer Gesellschaft und behindert die Lösung der anstehenden lokalen und globalen Aufgaben. Wir verzetteln uns in übelgelaunter Passivität und hätten doch wichtigeres zu tun.
In Staat und Wirtschaft funktioniert der Interessenausgleich nur mangelhaft. Auch die Kommunikation über die Situation und Interessenlage ist gehemmt. Im privaten Kreise sagt jeder leichthin, wie seine Diagnose lautet, und nennt die wichtigsten Maßnahmen. Aber die Wünsche und Bestrebungen sind sehr verschieden und werden nicht rational gegeneinander gesichtet und auf Durchführbarkeit untersucht. Auf der einen Seite wünschen wir uns die Erweiterung des Warenangebotes und bessere Versorgung. Andererseits sehen wir deren soziale und ökologische Kosten und plädieren für eine Abkehr von ungehemmtem Wachstum.
Wir wollen Spielraum für wirtschaftliche Initiative, aber keine Entartung in eine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen das Bewährte erhalten und doch Platz für Erneuerung schaffen, um sparsamer und weniger naturfeindlich zu leben. Wir wollen geordnete Verhältnisse, aber keine Bevormundungen. Wir wollen freie, aber verantwortungsbewußte Menschen, die doch gemeinschaftsbewußt handeln.
Wir wollen geschützt sein vor Gewalt, und dabei nicht einen Staat von Bütteln und Spitzeln ertragen. Faulpelze und Maulhelden sollen aus ihren Druckposten vertrieben werden, aber wir wollen dabei keine Nachteile für sozial Schwache und Wehrlose. Wir wollen ein wirksames Gesundheitswesen für jeden, aber niemand soll auf Kosten anderer krank feiern.
Wir wollen Export und am Welthandel teilhaben, aber weder als Schuldner und Diener der führenden Industriestaaten, noch zum Ausbeuter und Gläubiger der wirtschaftlich schwachen Länder werden.
Um all diese Widersprüche zu erkennen, Meinungen und Argumente dazu anzuhören und zu bewerten, allgemeine Interessen von Sonderinteressen zu unterscheiden, bedarf es eines demokratischen Dialogs über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft und Kultur. Über diese Fragen müssen wir in aller Öffentlichkeit, gemeinsam und im ganzen Land nachdenken und miteinander sprechen. Von der Bereitschaft und dem Wollen dazu wird es abhängen, ob wir in absehbarer Zeit Wege aus der gegenwärtigen krisenhaften Situation finden.
Es kommt in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung darauf an, daß:
- eine größere Anzahl von Menschen am gesellschaftlichen Reformprozeß mitwirkt,
- die vielfältigen Einzel- und Gruppenaktivitäten zu einem Gesamthandeln finden.
Wir bilden deshalb gemeinsam eine politische Plattform für die ganze DDR, die es Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen, Parteien und Gruppen möglich macht, sich an der Diskussion und Bearbeitung lebenswichtiger Gesellschaftsprobleme in unserem Land zu beteiligen.
Für eine solch übergreifende Initiative wählen wir den Namen
NEUES FORUM.
Die Tätigkeit des NEUEN FORUM`S werden wir auf gesetzliche Grundlage stellen. Wir berufen uns dabei auf das in Artikel 29 der Verfassung der DDR geregelte Grundrecht, durch gemeinsames Handeln in einer Vereinigung unser politisches Interesse zu verwirklichen. Wir werden die Gründung der Vereinigung bei den zuständigen Organen der DDR entsprechend der VO vom 6.11.78 (Gesetzblatt 1 Nr. 44, Seite 723) anmelden.
Allen Bestrebungen, denen das NEUE FORUM Ausdruck und Stimme verleihen will, liegt der Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur zugrunde. Das ist der Impuls, den wir bei der kommenden Umgestaltung in allen Bereiochen der Gesellschaft lebensvoll erfüllt wissen wollen.
Wir rufen alle Bürger und Bürgerinnen der DDR auf, die an einer Umgestaltung unserer Gesellschaft mitwirken wollen, Mitglieder des NEUEN FORUM`S zu werden.
DIE ZEIT IST REIF!
Bemerkung:
Der vorstehende Text ist die Abschrift eines im Herbst 1989 mehr oder weniger offiziell in der DDR kursierenden Dokuments. Angefertigt von dem Autor des vorstehenden Beitrags.
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